In ihren Filmen zeigen Jugendliche die Gewalt, die sie selbst erleben, unter der sie leiden. Die dargestellten Probleme sind von ihnen als Opfer oftmals nicht (kurzfristig) zu lösen, da Erwachsene für sie verantwortlich sind. Die Darstellung schafft ihnen jedoch eine positive Artikulationsmöglichkeit ihrer Ohnmacht zu entfliehen, sich anderen mitzuteilen, die vielleicht ähnliche Erfahrungen haben und verständnisvoll solidarisch sein können. Neben Liebe und Sexualität ist Gewalt schon historisch ein zentrales, kreativ unerschöpfliches Thema in allen Künsten und Kulturtechniken. Individuelle oder gesellschaftliche Gewalt darzustellen ist emotionalisierend, schafft intellektuelle Auseinandersetzung und ist unterhaltsam. Und dies auch für Jugendliche, in deren Lebensphase Gewalt und Sex mit ihren lustvollen wie problematischen Anteilen eine besonders dynamische Rolle spielen.
Wenn Jugendliche und junge Erwachsene ihre Inhalte und Ästhetiken in ihren Filmen zeigen, macht dies nicht nur kulturell und politisch sondern auch pädagogisch Sinn. Filmemachen ist gewaltpräventiv, ob in den Filmen Gewalt selbst thematisiert wird oder nicht. Die Produktion eines Filmes erfolgt bei Profis wie bei Jugendlichen arbeitsteilig. Auch für ein ansehbares Amateurvideo benötigt man AutorInnen für das Drehbuch, einen Regisseur, eine Kamerafrau, Schauspieler, jemanden der das Mikrofon hält bzw. die Interviews führt, Beleuchterinnen, Requisite und Make-Up, Cutter etc. Alle müssen sich in diese für sie meist neuen Aufgabenfelder einarbeiten, und die Güte des Filmes macht nicht zuletzt die Qualität der Kooperation und Kommunikation der Beteiligten aus. Das gemeinsame Produkt schafft hierbei Identifikation. Da sich Jugendproduktionen idealerweise mit dem jugendlichen Leben selbst, d.h. mit der geträumten oder tatsächlichen Realität der MacherInnen beschäftigt, geben sie ihnen die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit ihrem Leben zwischen Eltern, Schule bzw. Berufsausbildung, PartnerInnen, Freunden und sich selbst mit allen Wünschen und Ängsten.
Andererseits ist Filmemachen in erster Linie eine Kulturtechnik und nicht nur eine pädagogisch-präventiv eingesetzte Methode. Die meisten Filme werden von jugendlichen wie erwachsenen FilmemacherInnen nicht gegen etwas produziert, sondern aus Lust an den bewegten und bewegenden Bildern, als Mittel der Selbstdarstellung bzw. zur Artikulation ihrer Meinungen und Geschichten.
Das aktive Produzieren von Videos verschafft Jugendlichen Medienkompetenz, da sie hierbei notwendigerweise das Medium Film reflektieren und es sich künstlerisch, handwerklich und technisch aneignen. Dies ist jedoch eine pädagogische Sichtweise von außen. Für das Medienprojekt Wuppertal, seine MitarbeiterInnen und die jungen FilmemacherInnen war dies noch nicht der Grund für einen einzigen Film.
Wenn man Jugendliche sowie ihr Filmemachen ernst nimmt und dies nicht nur als pädagogische Methode sieht, heißt das für die Produktion:
Anlass für die Videoworkshops zur Gewaltprävention waren die häufigen gewalttätigen Übergriffe von SchülerInnen der Haupt- und Sonderschulen auf die GymnasiastInnen in der Elberfelder Nordstadt. In diesem Stadtteil wurden die Videoworkshops in Kooperation mit einem Stadtteilarbeitskreis über sieben Jahre hinweg regelmäßig einmal jährlich durchgeführt. An jeweils zwei Schultagen produzierten hundert SchülerInnen der Jahrgangsstufen 7-10 aus den im Stadtteil vertretenen Schulen (katholisches Gymnasium, Gesamtschule, zwei Realschulen, Hauptschule, zwei Sonderschulen) gemeinsam in Arbeitsgruppen Kurzfilme zu einem übergreifenden Thema, dem Gewalt immanent ist, zum Beispiel »Schafe/Wölfe«, »Familie«, »Das erste Mal«, "Typisch Mädchen, typisch Junge". Unmittelbar nach dem Dreh und Schnitt der 14 Videos wurden diese, als Rolle montiert, im Kino uraufgeführt und danach in gemeinsamen Veranstaltungen für alle SchülerInnen der Jahrgangsstufen 7-10 aller beteiligten Schulen (d.h. ca. 2.500 SchülerInnen) präsentiert. Anschließend wurden die Filme als Bildungsmittel in den Schulen genutzt und vom Medienprojekt Wuppertal bundesweit vertrieben.
In den Jahren 1997-1999 veranstaltete das Medienprojekt jeweils im Februar einen großen Videoworkshop zum Thema »Mörder« bzw. »Mörderin«. Zwischen 100 und 150 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 25 Jahren produzierten an einem Wochenende in Gruppen 15 bis 25 Kurzspielfilme, Reportagen, Musikvideos und Trickfilme. Die Videos wurden direkt danach im Kino uraufgeführt und anschließend vertrieben. Die Mördergeschichten der Jugendlichen zeigen genrespezifische trashige Gewaltinszenierungen, Horror, Crime und Action genauso wie selbst erlebte Gewalt, Rassismus, Gewalt gegen Tiere, Selbstmordgedanken und politische Ungerechtigkeiten.
1996 und 1997 veranstaltete das Medienprojekt in Zusammenarbeit mit den lokalen feministischen Fachstellen (Frauen-Notruf, Frauenhaus, Gleichstellungsstelle, Frauenberatungsstelle, Splittertal, Mädchentreffs) Videoworkshops gegen sexualisierte Gewalt. Unter dem Motto »Leben mit dem Feind« (1996) und »Nicht mit uns« (1997) produzierten Mädchengruppen und Jungengruppen geschlechtsgetrennt unter der Anleitung von jeweils einer Fachfrau und einer Filmemacherin, bzw. einem Fachmann und einem Filmemacher, Videos zu eigenen Erlebnissen sexualisierter Gewalt. Diese wurden im Kino uraufgeführt und dann als Bildungsmittel für die Präventionsarbeit vertrieben. Die beteiligten Jugendlichen fanden durch ihre Filmproduktionen nach vorne gerichtete, solidarische Verarbeitungsmöglichkeiten und schufen für andere jugendliche ZuschauerInnen eine Auseinandersetzungsebene mit sexualisierter Gewalt und dem Umgang zwischen den Geschlechtern.
Zum Schluss bleibt die Frage nach dem Anlass der Gewaltdiskussion: Wer würde in einer Musikschule fragen, ob Klavierspielen für Jugendliche gewaltpräventiv sei; wer würde beim Kunstunterricht darüber nachdenken, ob sich Jugendliche beim Malen ihrer Bilder mit den Gewaltinhalten von Bildern anderer KünstlerInnen auseinandersetzen; wer diskutiert beim Jugendtheater Gefahren durch Gewaltprojektionen für die jugendlichen SchauspielerInnen oder ZuschauerInnen; wo werden die Folgen eines Gewalt enthaltenden Schreibstils im literarischen Schaffen Jugendlicher oder in der von ihnen konsumierten Literatur problematisiert? Nicht zuletzt weil das Medium Video immer in den Händen von PädagogInnen und nicht von KünstlerInnen lag, weil Fernsehen als emotionales Medium eine neue Konkurrenz zu den tradierten Mittelschichts- und damit sprachlich orientierten Kulturtechniken von Erwachsenen darstellt, die eine andere mediale Sozialisation als die heute mit höheren rezeptiven Kompetenzen aufwachsende Jugendliche erlebten, wird eine Diskussion von realen Gewaltverhältnissen auf mediale Gewaltverhältnisse verlagert.
Filme machen heißt Illusionen erzeugen. Filmische Gewalt ist eine solche, auch wenn Jugendliche sie (re)produzieren, und damit auf die von ihnen erlebten direkten und strukturellen Gewalttätigkeiten der Erwachsenenwelt hinweisen, in die sie hineinwachsen. So ist es sowohl für Erwachsene als auch die Jugendlichen selbst gut, wenn diese sich lustvoll und produktiv artikulieren. Und warum nicht per Video, und warum nicht über Gewalt. So kann Pädagogik schon mal Kopf und Herz, und dies sogar vorzeigbar und publikumswirksam, miteinander verknüpfen.
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